Tun wir es oder tun wir es nicht?
In den letzten Monaten wurden wir wiederholt von Organisationen angesprochen, ob Crowdfunding das Richtige für sie wäre. Das sich die Anfragen mehren, hängt damit zusammen, dass sich Crowdfunding immer mehr etabliert und zugleich ein Modethema wird. Kein junges Kulturprojekt kommt an diesem Wort noch vorbei. Seit diesem Monat kümmert sich auch Kickstarter konzentriert um Deutschland. Die Mutter aller Crowdfunding-Plattformen geht davon aus, dass ab jetzt der deutsche Markt für Crowdfunding reif ist.
Case Study Schulgründung
Letzte Woche klingelt unser Telefon. Frau Melsheimer von der „b-school“ in Allenbach ist am Hörer. Nachdem wir beim Namen und Storytelling bereits mit dem frisch gegründeten Elternverein gearbeitet hatten, fragt Yvonne Melsheimer genau die Frage, die zur Zeit viele bewegt:
- Ist Crowdfunding ein sinnvoller Weg für uns. Ja oder Nein?
- Ist Crowdfunding auch für „normale“ soziale Organisationen geeignet?
Die folgenden Punkte sind unser Rat, wie Frau Melsheimer herausbekommt, ob sie für den Schulstart eine Crowdfunding-Kampagne aufsetzen sollte oder nicht.
Zur Situation
Yvonne Melsheimer hat den Plan, ausgerechnet in Hilchenbach (einem verträumten, etwas abgelegenen Tal) eine bilinguale Grundschule aufzubauen. In den Gebäuden der ehemaligen Grundschule von Hilchenbach wird die „b school“ jetzt im August zum ersten Schuljahr starten. Mit allen Anfangsproblemen, die eine private Schule mit sich bringt. Dazu gehören noch fehlende Finanzen, da die Schule zum Start noch wenige Schüler hat, aber aufgrund von Behördenauflagen (poor Germany) für jedes einzelne Lehrfach Personal stellen muss. Plus des zusätzlichen englischsprachigen Pädagogen. Ein tolles Konzept macht Lust auf Schule, braucht aber Helfer und Freunde.
Das spricht gegen die Crowdfunding Kampagne
• der Elternverein ist bisher ungeübt in Social Media und Online-Medien
• Hilchenbach ist auch online ein wenig verträumt
• Wille ist da, das Know How müsste aber aufgebaut werden
• bis August ist relativ wenig Zeit, um dies zu schaffen
Das spricht für die Crowdfunding Kampagne
• es ist ein innovatives, engagiertes Projekt
• eine Schule ist ein „Social Hub“ in sich
• Helfer + Freunde ist genau die Denkweise des Crowdfunding
• es gibt glaubwürdige VertreterInnen
• es gibt einige internationale Familien, die sich eine solche Schule wünschen
Checkliste, um sich einer Antwort zu nähern
Frage 1 – Finanzvolumen
Dürfte die b-school träumen, wären 150.000 Euro zusätzlich die perfekte Starthilfe für die Schule.
Aber das scheint uns für Hilchenbach und Umgebung ein zu hoher Betrag. Von daher würden wir empfehlen, kleiner zu denken: 25.000 Euro für die erste Kampagne und 25.000 Euro für die zweite Kampagne.
Warum in zwei Kampagnen teilen?
Weil es auf den Plattformen in der Regel das „Alles-oder-nichts-Prinzip“ gibt. Würde die b-school mit 50.000 Euro als Ziel starten, aber nur 45.000 Euro erreichen, wäre die ganze Arbeit umsonst. Besser ist:
Schulstart-Kampagne 25.000 Euro
Startet 2 Wochen vor dem Schulstart und läuft noch 1 Woche über den Schulstart hinaus. Finanzierungs-Laufzeit knapp 30 Tage. Online gilt: Lieber kürzer und intensiv, als zu lange Laufzeiten.
Schulwinter-Kampagne 25.000 Euro
Gelingt die erste Kampagne, steht der zweiten Kampagne nichts mehr im Wege. Wir empfehlen, dies intern und in der näheren Umgebung (nicht online) von Anfang an mitzukommunizieren: Wir wagen eine erste Kampagne und würden mit einer zweiten weitermachen, wenn sich das als guter Weg herausstellt.
Frage 2 – Wofür soll gespendet werden?
Beim Schulstart bieten sich zwei Dinge an:
A ) Eine Shopping-List mit Ausstattung wie 1 Stuhl / Lehrmaterial / Möbel.
B ) Herzstück der b-school ist die Zweisprachigkeit. Die zusätzliche englische Lehrkraft wird pro Woche ca. 900 Euro kosten. Hier kann man „1 Woche englische Lehrkraft“ spenden. Dadurch sind höhere Spenden (900 / 1.800 / 2.700 Euro etc) möglich.
Frage 3 – Machbarkeit
Wenn sich der frische Elternverein an diese Aufgabe heranwagt, geht dies nur, wenn zusätzlich zu den engagierten Eltern ein bis zwei Personen mit einer „Online-Hand“ dazukommen. Den Namen von erfahrenen Bloggerinnen haben wir weitergegeben. Nun gilt es zu netzwerken und Menschen zu finden, die als innerer Kreis hinter Technik stehen.
Ist eine technische Machbarkeit gegeben, ist der zweite Schritt die Abschätzung der möglichen Aktivierung des Freundeskreises innerhalb der ersten 10 Tage. Denn eine Kampagne verhungert, wenn nicht gleich zu Beginn etwas auf der Seite passiert. Dafür muss offline vorgearbeitet werden. Zeigt sich in Vorgesprächen, dass niemand bereit ist, erste Spenden zu platzieren, wäre das ein Warnsignal.
Frage 4 – Einbettung in das Gesamtfundraising
Für den Schulstart braucht es ein Gesamtfundrasing-Konzept. Teile davon stehen schon. Das Crowdfunding sollte sich in dieses Konzept mit einfügen. Denn, wie es in unserer Case-Study heißt: „Es geht nicht um das Geld, sondern um das Ganze“.
Fazit
Unserer Einschätzung nach steht es bei der b-school auf der Kante, ob eine Crowdfunding Campaign passt. Es hängt vor allem davon ab, ob ein erster kleiner Unterstützerkreis gefunden wird, der die Technik im Griff hat und die ersten Leadspenden auf der Plattform platziert. Wird dieser nicht gefunden, würden wir von der Crowdfunding Campaign parallel zum Schulstart abraten. Dann wären klassische Wege sinnvoller, um sich nicht zu verzetteln.
Gibt es aber das „Crowdfunding-Team“, das Lust auf dieses Experiment hat: Was gibt es zu verlieren?
Ein Schulstart kommt so schnell nicht wieder. Gerade bei einer bilingualen Schule kann es gut sein, dass Menschen aus Sympathie spenden, die gar nicht aus der unmittelbaren Region kommen. Und diese können nur über eine Crowdfunding-Plattform adressiert werden.
Weitere Informationen zum Thema gibt es hier
Startnext hat ein Handbuch für Kampagnen erstellt
Sozialmarketing.de hat darüber geschrieben
Interview mit Roland Kleverlaan
Und wer den Experten fragen möchte
Jörg Eisfeld-Reschke von ikosom hat im März den Crowdfunding Industry Report 2015 veröffentlicht. Für alle, die es professionell wissen wollen. Auf Englisch und kostet 495 $.
Storytelling Master Class im Juni – auch über Crowdfunding Storytelling