Was passiert eigentlich im Land der Blogs und Communities?
von Ehrenfried Conta Gromberg
Blogs, Social Communities und Web 2.0 sind einige der neuen Schlagworte im Online Fundraising. Woher kommen sie? Was steckt dahinter? Deshalb hier kurz ein evolutionärer Stammbaum, wie sich Bloggonien formte und warum Twitter in dem Zauberland wieder eine neue Runde einläutet.
Web 1.0
Bevor wir zu Web 2.0 kommen, müssen wir erst bei Web 1.0 starten.
Was war das eigentlich?
Bei Web 1.0 stehen eigentlich nur zwei große Schlagworte:
Die Website
Begonnen hat das Web mit dem Siegeszug der leicht lesbaren Internetseite (Stichwort: Grafische Oberfläche). Jeder hatte plötzlich eine. Gemeint ist eine Website, auf der eine Firma oder Organisation sagt: Das bin ich, das hab ich. Diese Seiten sind quasi wie ein Regal. Der Betreiber der Seite stellt in dieses Regal seine Informationen und hofft darauf, dass jemand vorbeikommt und diese Informationen aus dem Regal herausnimmt. Innovationen gibt es dabei vor allem bei der Füllmethode des Regals. Redaktionssysteme häufig Content Management Systeme genannt, helfen inzwischen dabei, immer mehr in das eigene Regal zu stellen. Das ist Web 1.0. Es gibt inzwischen so viele Seiten mit so vielen Inhalten, dass diese niemand mehr überblickt. Bis auf Google. Der User hat nur eine Chance: Lesen oder nicht lesen. Es gibt Autoren, die sagen: Web 1.0 = Read only.
Das Portal oder der Shop
Das stimmt nicht ganz. Es geht nicht nur um das lesen. Es kann auch gehandelt werden. Ein Kauf ist eine solche Handlung. Die Boliden des Web 1.0 waren und sind die Portalseiten. Das sind besonders große Regalseiten, in die nicht nur ein einzelner Betreiber sondern viele Anbieter Inhalte in die Regale stellen. Bei Auto Scout 24 (eine der erfolgreichsten deutschen Seiten) stellen viele Autohäuser und Privatpersonen ihre Autoangebote ein. Deswegen gibt es dort so viele Autos zu kaufen. Bei Amazon stellen viele Buchverlage, Buchhandlungen und Einzelverkäufer ihre Angebote ein. Darum sind die Regale dort so voll.
Warum ist ein Shop noch nicht Web 2.0?
Auf einem Portal gibt es sehr viel und ich kann in den vielen Angeboten suchen. Portale sind also Turbo Web 1.0. Sie sind aber immer noch Web 1.0. Denn die verschiedenen Angebote, die nebeneinander im Regal stehen, machen noch nichts miteinander. Die Autos auf Auto Scout reden nicht miteinander. Sie werden nur verkauft. Von daher sind auch große Shops Web 1.0. Die Position als Käufer / Abholer ist eindeutig: Vor das Regal gehen und sich dort etwas herausholen. Die Interaktion beschränkt sich auf „suchen und holen“. Wie im Supermarkt.
Was ist Web 1.0?
Im Web 1.0 gibt es auf der einen Seite Regalfüller und auf der anderen Seite User, die etwas aus dem Regal nehmen. Wenn jeder zum Verkäufer werden kann (wie bei eBay und anderen Marktplattformen), wird es schon spannender. Dann bewegen wir uns bereits auf Web 2.0 zu.
Web 2.0
Es gibt Autoren die sagen: Web 2.0 = Read and Write. Das greift aber zu kurz. Es muss mindestens heißen Read / Write / Buy / Sell. Aber auch das greift zu kurz.
Web 2.0 ist der Sprung in eine andere Klasse. Der Begriff (2004 von Dale Dougherty und Craig Clinevon „erfunden“) wird seit etwa 2005 intensiver gebraucht. Er bezeichnet einen Umschwung, der eigentlich evolutionär läuft. Es gibt keinen Stichtag, an dem das Web 1.0 zum Web 2.0 wurde.
Web 2.0 = Alle können Sender werden
Web 2.0 hat ist ein Senderwechsel. Der User kann plötzlich einfach selbst handeln, anbieten, veröffentlichen, verkaufen. YouTube heißt einfach übersetzt: Bau Dir Deinen eigenen Fernsehsender. Was ARD und ZDF kann, kannst Du schon lange. Durch diesen Senderwechsel entsteht eine neue, viel kleinteiligere Öffentlichkeit. Ein neuer Handlungsraum entsteht. Oder besser gesagt: Abertausende neue Handlungsräume entstehen. Denn niemand kann mehr alle YouTube Kanäle ansehen, niemand kann mehr alle Blogs verfolgen, es gibt damit keine eindeutige Öffentlichkeit mehr.
Ich gebe mein Urteil
Web 2.0 begann damit, dass z.B. auf Seiten wie Amazon Buchleser Kommentare zu den kaufbaren Büchern schreiben konnten. Auf einmal wurde Inhalt also von beiden Seiten in das Regal gestellt. Von hinten bestückten die Anbieter. Von vorne die User, indem sie Bewertungen gaben. Das wiederum hatte Auswirkungen auf die Sortierfolgen. Die Interaktion zwischen Anbietern und Anbietenden wurde zu einem ritualisierten Tanz. Auch konnten die User auf einer Reihe von Portalen selbst Dinge verkaufen / einstellen. So wurde eBay zur größten Internetauktionsplattform der Welt. Der User konnte also auf einmal vor und hinter dem Regal zugleich sein. Der Käufer wird zum Verkäufer. Alle Handels- und Austauschplattformen (market places) gründen auf diesem Prinzip.
Web 2.0 Portale
In den Portalen der Web 2.0 Klasse wurde die Regal-Füll-Formel noch weiter reduziert. Der Nutzer stellt selbst alles ins Regal. Der Betreiber nichts mehr. Der Seitenbetreiber organisiert nur noch das Ganze und sorgt für die Spielregeln.
Chats und Foren
Spielplätze auf denen der user selbst handeln konnte, gab es schon recht früh. In Chats begann man miteinander zu reden. Häufig elend nichts sagendes Zeug. Chat Rooms und Foren wurden aber nicht die Treiber der Entwicklung um Web 2.0. Böse Zungen sagen: Ein Chatroom oder Forum ist ein Raum, den ein Betreiber zur Verfügung stellte und sich dann nicht mehr darum kümmert. Wenige Foren haben wirklich den Sprung in eine Massenwirksamkeit geschafft. Fester Bestandteil sind sie dort, wo eine Gruppe sich gegenseitig kleine Hilfestellungen gibt. Und sie tauchen als ein Feature in den Community Sites auf. Ohnehin ist Web 2.0 weniger eine Frage der technischen Möglichkeiten (die gab es z.T. schon früher), als die der breiten Nutzung. Wo entstand die kritische Masse, um den Sprung in neue Gewohnheiten zu schaffen?
Bloggonien – das Tor zur neuen Welt
Den Durchbruch in die mit eigenem Inhalt gefüllten Seiten (User Generated Content) mit Massenwirkung schaffte ausgerechnet eine Form, die zunächst überhaupt nichts mit Gemeinschaft zu tun hat: Die Einzelgänger-Lösung. Oder anders ausgedrückt: Das Regal gehört mir ganz allein. Ein Blog ist ein Weblogbuch. Also ein Tagebuch, dessen Einträge sofort in Echtzeit im Internet veröffentlicht werden. Hauptkennzeichen und Hauptabgrenzung zu den Foren: Es schreibt alleine ein (meist) namentlich bekannter Autor. Start irgendwann 1997. Ab 2000 öffentlich wahrgenommen und ab 2005 ein echter Hype.
Worum geht es in Bloggonien?
Die meisten Blogger schreiben aus Spaß und sagen einfach, was sie denken. Inzwischen ist die Blogosphäre aber so intensiv miteinander vernetzt, dass eine persönliche Meinung durchaus etwas auslösen kann. Siehe dazu den Beitrag „Die Macht der Blogs“.
Ein wichtiger Punkt dazu sind die sog. Permanent-Links. Feste Linkadressen, mit denen einzelne Seiten (= Beiträge) fest vernetzt werden können. Die Fans von hochdynamischen Content Management Systemen (das sind die Dinger, bei denen die URL immer lustig etwas anderes zeigt) sollten an dieser Stelle rot oder bleich anlaufen und verstehen, dass Erfolg etwas mit Kontinuität und Auffindbarkeit zu tun hat.
Der Blogger schreibt also ein Tagebuch. Eintrag um Eintrag und der Blog listet das Ganze automatisch. Und viele andere können ihren Link darauf setzen. Warum diese Beiträge häufig mehr gelesen werden als die alten Web 1.0 Informationsseiten mag ein Rätsel bleiben. Aber es ist so. Vermutlich weil die Inhalte ehrlicher und direkter sind als bei dem ganzen PR geschliffenem Kram. Was nicht heißt, das ein Blog automatisch gelesen wird. Dazu gehört schon etwas mehr dazu. Wie so etwas geht, haben wir im Artikel Food & Charity skizziert.
Dann kamen die Social Communities
Eine Social Community ist definitiv kein Blog. Ein Blog wird vom Blogger selbst eingerichtet und er bestimmt selbst, was er schreibt und wie er es anordnet. Bei einer Social Community gibt ein Betreiber einen festen Rahmen vor, in dem der User persönliche Inhalte oder Netzwerke pflegen kann. Also nichts mit persönlicher Freiheit. Bei Xing einem Business Netzwerk kann der User z.B. ein Profil von sich einstellen und sich dann mit anderen Usern der gleichen Seite vernetzen. Es ist also eine geschlossene Gesellschaft. Jede Community kämpft um möglichst viele Nutzer, damit es überhaupt etwas zu vernetzen gibt. Face Book und MySpace sind auch immer wieder genannte Beispiele. Häufig werden wir gefragt: „Ist Face Book nicht auch ein Blog?“ Nein ist es eigentlich nicht. Aber man kann eine Profilseite einer Social Community natürlich jeden Tag umbauen. Dann wird es fast ein Blog. Und es gibt Community Sites in denen ich einen eigenen Blog einbinden kann. Grundsätzlich ist aber das Verbindende einer Community die Interaktion miteinander. Ich kann networken, tauschen, posten, handeln …
Bin ich als Mitglied einer Community mit vielen innerhalb der Community vernetzt, bekommen diese mit, wenn sich bei mir im Profil etwas verändert. Nach dem Motto: „Hallo Bernd, Klaus hat gerade Susanne wieder gefunden, mit der er einmal auf der gleichen Schule war.“ Das  hört sich banal an, hat Barack Obama aber in seinem Wahlkampf auf die Spitze getrieben. „Hallo Bernd, Klaus hat gerade Barack Obama als persönlichen Freund dazu gewonnen.“ Wer will nicht auch einen Präsidenten in seinem Freundeskreis? Die Konservativen ärgern sich heute noch, dass sie das nicht geblickt haben.
Bei Social Communities gibt es grob gesagt zwei Typen
Die einen Gemeinschaften verkoppeln sich über die Person. Ich habe ein Profil (mein Geschmack, meine Freunde, meine Biografie, meine berufliche Laufbahn) und kann darüber gefunden werden. Hier setzt das Peer to Peer Fundraising an, von dem immer mal wieder die Rede ist.
Die anderen verkoppeln sich über ein Thema, an dem zusammen gearbeitet wird. Und wenn nur Sammelbilder getauscht werden. Es kann aber auch wirklich um Zusammenarbeit an Projekten gehen.
Bei den Themen-Communities sollten Non Profit Organisationen spätestens aufhorchen. Denn das ist ein Kernanliegen sozialer und politischer Organisationen. Eine der interessantesten Themen-Communities ist Wikipedia. Viele Menschen nehmen sich zusammen vor, das gesamte Wissen der Welt in ein Internetlexikon zu schreiben. Funktioniert und führt dazu, dass es große Lexikas in Buchform in Zukunft nicht mehr geben wird. Bertelsmann ist vor dieser Übermacht schon eingeknickt. Wikis sind also ein Knock Out System für gedruckte Lexika.
Und dann kam Twitter
Was ist das jetzt schon wieder? Der neue Stern am Himmel in Bloggonien ist wieder etwas anderes. 2006 gegründet ist Twitter in aller Munde, seitdem  am 12. Januar 2009 im Hudson River ein Airbus baden ging und Janis Krums per Handy (!) seine Worte postete: „Da ist ein Flugzeug im Hudson River. Bin auf der Fähre, die versucht, die Leute aufzusammeln. Verrückt.“ Ein guter Artikel zu diesem Vorgang finden Sie bei Spiegel online.
Das neue Tier wird in der Fachsprache Micro-Blogg genannt. Weil hier die Menge des zu postenden Inhaltes (bei Twitter 140 Zeichen, entspricht der SMS von einem Handy) streng limitiert ist. Twitter ist nicht der erste Micro-Blogg. Im Kern ist das eigentlich jedes News- oder Nachrichtensystem (z.B. Feeds oder RSS) mit kurzen Textlängen. Entscheidend ist aber auch hier wieder N I C H T die technische Ebene. Sondern die Akzeptanz bei der breiten Anwenderschaft und der Knock Out für ein bestehendes System.
Twitter schlägt die normalen Nachrichtendienste. Bisher waren die Platzhirsche der journalistischen Nachricht dpa, ap und wie die großen Nachrichtendienste alle heißen. Gefolgt von vielen Medienredaktionen auf der Jagd nach neuem Stoff. Diese sammeln in einem streng qualitätssichernden Prozess Nachrichten in aller Welt, klassifizieren diese und geben sie geordnet raus. Dabei sind sie eigentlich sehr schnell. Keine Privatperson konnte das bisher leisten, da es sich nicht lohnt privat weltweit Korrespondenten und Journalisten zu vernetzen. Also ein Monopol der Redaktionen. Der epd ist z.B. sehr stolz auf seinen neuen Newsroom in Frankfurt.
Nun schreibt Janis Krums eine kurze Nachricht auf einer Fähre, postet dies mit seinem Handy und war damit schneller als die Poliziei, die Feuerwehr und die Journalisten. Sein mit dem Handy geschossenes Foto ging als erstes um die Welt. Nicht die Fotos der Profis, die zu spät kamen. Knock Out. Der Bürgerjournalist war schneller. Das heißt nicht, dass er besser ist. Noch nicht. User wird Sender. Janis Krums ist ein normaler Mensch. Seine anderen Beiträge sind normal. Sonst erlebte er bisher nichts Spektakuläres.
Ach ja. Barack und Angie twittern auch.
Wo bleiben eigentlich die E-Mail?
Spannend ist, dass bei der gesamten Debatte um Web 1.0 und Web 2.0 die E-Mail Kommunikation fast nie erwähnt wird. Die Kommunikation über E-Mail ist anscheinend so eingewöhnt, dass sie als selbstverständliche Parallelwelt angesehen wird. Das ist unserer Meinung nach ein Fehler und sollte alle Verantwortlichen im Sozialmarketing und Fundraising keinen Sand in die Augen streuen. E-Mail Kommunikation ist der Treiber in sozialen Online-Kampagnen und in der schnellen Kommunikation mit Förderern und Supportern. Spannend bleibt im Zusammenhang mit Web 2.0 die Frage, wer wem die Mails sendet. Hier greift wieder der Begriff des Peer to Peer Fundraisings.
Neue Studie Global Faces and Networked Places
Eine im März 2009 veröffentlichte Untersuchung von The Nielsen Company lässt aufhorchen. In ihrer Studie „Global Faces and Networked Places“ kommt Nielsen zu dem Ergebnis, das die Nutzung von Social Communities dabei ist, die der privaten E-Mail zu überholen. Oder anders ausgedrückt: Viele Menschen kommunizieren stärker über ihren Account einer Social Network Site als über ihren privaten individuellen E-Mail Account.
Wieviele so stark in die Social Networks und Blogs verzahnt sind, dass diese zu ihrem Hauptkommunikationsweg werden, ist noch nicht ganz klar. Klar ist: Die Anzahl der Social Network Members stieg 2008 weltweit sprunghaft an. Gerade auch in Deutschland. Und auch klar: Die Nutzer werden immer älter. 35 bis 49 jährige sind gerade der größte Zustrom bei Member Sites, also genau die Altersschicht, die viele Fundraiser als ihre wichtigste beschreiben.
Noch sind viele Member, die sich auf eine Site neu eintragen passiv. Rasante Wachstumszahlen von Facebook in Deutschland (Zuwachs von 800.000 Mitgliedern von Okt 08 bis Feb 09) sagen  noch nicht, dass wirklich alle dieser neuen Mitglieder über Facebook auch wirklich kommunizieren. Sie nutzen in der Regel noch ihren individuellen E-Mail Account.
Aber die E-Mail wird vielgestaltiger, Multi Channel Fundraising heißt in Zukunft daher auch: Menschen haben nicht nur eine Post Adresse, mehrere private E-Mail Adressen, sie haben auch E-Mail Adressen, die niemand in einer Datenbank nicht speichern kann, da sie nur über den Zugang einer Social Community Website funktionieren.
Fazit 1
Dieser Artikel hat kein Fazit. Er ist mehr ein Protokoll der Ereignisse. Es sollen daraus auch keine voreiligen Schlüsse für Sozialmarketing oder Online Fundraising gezogen werden.
Nur fünf Gedanken

  • Web 1.0 ist nach wie vor die Grundlage für Web 2.0. Viele stupide gebaute Web 1.0 Seiten sind z.B. im Bereich der Shops in den letzten Jahren in die schwarzen Zahlen gefahren, während interaktive Spielplätze insolvent gingen. Es ist also abzuwarten, was Hype ist und was Bestand hat. 2008 ist aber ein Wendejahr.
  • Sicher ist, dass es eine digitale Spaltung der Gesellschaft gibt. Interaktion gibt es nur mit denen, die „drin“ sind. Das Internet ist eine Wirklichkeit, aber nicht die ganze Wirklichkeit.
  • Bei Twitter ist ein neuer Einstieg ins Web das mobile Handheld-Gerät. Nicht der Laptop und auch nicht der stationäre Rechner. Der Zugang zum Internet wird breiter.
  • Die Kommunikation verändert sich schneller, als viele soziale Organisationen unterwegs sind.
  • Die Bedeutung der E-Mail ist vielen nicht bewusst. Sie wird vielschichtiger und ist der Schlüssel zur Kommunikation mit großen oder kleinen Gruppen.

Fazit 2
Wir sollten Bloggonien im Auge behalten.