oder wie man lokal Kunden mit E-Mails bindet – ein Fallbeispiel
von Ehrenfried Conta Gromberg


Welche Rolle kann die E-Mail Kommunikation in der Kundenbindung spielen? Das folgende Beispiel zeigt den Kreislauf zwischen Angebot, Erstkontakt und Kundenbindung.
Eingeschlafene Region
Starten wir für dieses Fallbeispiel in einer typisch deutschen eingeschlafenen Kleinststadt. Ohne Ausstrahlung, Selbstbewusstsein und mit einer lieblos zusammengewürfelten Bausubstanz. Ohne irgendeinen Zusammenhang herstellen zu wollen nennen wir diese Kleinstadt einmal Buchholz in der Nordheide.
Des Weiteren betrachten wir einen der Söhne dieser Stadt. Der auszog die weite Welt kennen zu lernen, über München bis nach Hamburg kam und in einigen der besten Häuser Deutschlands (u.a. das Vier Jahreszeiten) die Gastronomie von Grund auf lernte und seine Liebe zum Wein entdeckte.
Dieser junge Mann hat Elan, guten Stil, ist weltoffen und in keiner Weise eingeschlafen. Wir nennen ihn einmal – ohne irgendeinen Zusammenhang herstellen zu wollen – Dag Anders Pieper.
Der verlorene Sohn kehrt zurück
Dieser Sohn der Stadt kehrt 2009 in die eingeschlafene Stadt zurück und beschließt ausgerechnet in Buchholz ein feines Weinlokal zu eröffnen. In Buchholz gibt es bereits den Asia Imbiß (günstig und sauber), einige Gasthäuser (konservative deutsche Küche) und einen pseudo-irischen Franchise Pub mit dem Namen Limbs (billig viel essen).
Dag Anders Pieper nennt sein Weinlokal „Anders“ wie sein Vorname. „Anders Weinwirtschaft & Bar“, um genau zu sein. Dag Anders Pieper versteht etwas von Wein. Das erkennt man an der Speisekarte, die eigentlich eine Weinkarte ist. In dieser Karte tragen nur 2 Seiten die Überschrift „Speisen“. Die anderen 23 Seiten tragen die Überschrift „Wein“ bzw. „Cocktails“.
Damit sind wir beim Marketing
Dag Anders Pieper befolgt die erste Regel eines erfolgreichen Marketings: „Sei anders“. Es gab bis dato kein Lokal in Buchholz für gehobene Ansprüche. Er geht gezielt in eine Nische, in der kein anderer ist und die kein anderer bedienen kann. Denn um Anders zu sein, muss man sehr viel von Wein verstehen.

  • Doch wie kann anderes Marketing aussehen?
  • Wie kann ein neues, spezielles Weinlokal Kunden gewinnen und „binden“?

Nein zur klassischen Werbung
Zunächst trifft Dag Anders Pieper eine Nein-Entscheidung. Er entscheidet sich gegen klassische Werbung. Er beschließt z.B. keine Anzeigen in dem örtlichen Wochenblatt zu schalten, wie es alle anderen Gastronomen der Stadt tun.
Er erzählte mir, wie er zu dieser Entscheidung kam. Als er versuchsweise eine Probeanzeige schaltete und das Belegexemplar bekam, fand er seine eigene Anzeige beim ersten Durchblättern nicht – obwohl er sie suchte. Daraus folgerte er, das auch andere seine Anzeige nicht sehen würden.
Dag Anders Pieper hat mit dieser Bauchentscheidung recht. Das Nordheide Wochenblatt hat zwar eine Auflage von etwas über 50.000. Die meisten Exemplare wandern aber in die Mülltonne. Zu mindestens bei den Lesern, die gehobenere Ansprüche pflegen. Über die wenigen Blickkontakte dort wäre es schwer und teuer, für ein kleines Lokal hochwertige Beziehungen zu pflegen. Kundenbindung via Kleinanzeigen ist für ihn kaum machbar. – Eine Parallele zu vielen regional tätigen sozialen Organisationen.
Wie organisiert man ein nichtklassisches Marketing?
Wenn ein junger neuer Gastronom in einer Kleinstadt keine Anzeigen schaltet, wie sollen die Menschen in der Stadt mitbekommen, dass er da ist? Dag Anders Pieper setzt auf ein durchdachtes lokales Marketingkonzept und erfüllt in ihm alle wichtigen Kriterien für erfolgreiches regionales Marketing. Dag Anders Pieper könnte ein guter regionaler Fundraiser sein. Er baut auf:
1 – Seine Persönlichkeit
2 – Regelmäßige kleine Events
3 – E-Mails
4 – Website
1. Seine Persönlichkeit
Entgegen vieler Behauptungen ist das Wichtigste im Marketing das Produkt (nicht das Marketing). Nur wer ein gutes Produkt hat, kann auch begeistern. Mittelmäßige soziale Projekte bekommen keine Spenden. Mittelmäßige neue Lokale keine Kunden.
Dag Anders Pieper ist nicht mittelmäßig. Er ist freundlich. Er spricht mit seinen Kunden. Er begrüßt sie. Er liebt seinen Beruf. Er hält eine Weinflasche so, wie sie nur ein maître hält.
Das Produkt von Anders lautet: Genuss auf einem hohen Niveau in guter Atmosphäre mit einem Inhaber, dem man gerne zusieht und mit dem man in Kommunikation treten kann.
Genuss hat dabei nicht nur die Parameter „hervorragender Wein“ und „hervorragende Bedienung“. Weiterer Parameter ist die Atmosphäre, zu der auch die Musikauswahl beiträgt. Ich habe dort zum ersten Mal brasilianischen Reggae gehört. Und ich muss sagen: Es gibt Weine, die schmecken wie brasilianischer Reggae.
2. Regelmäßige Events
Um Menschen zu verführen, das erste Mal über die Schwelle in sein neues Lokal zu treten (Erstspender, Erstkontakte, Erstgespräche), veranstaltet er regelmäßige kleine Events. Anders Weinwirtschaft hat wenig Sitzplätze. Von daher sind es kleine Events. Eine kulinarische Attraktion, die Lesung eines Journalisten oder Live-Musik. Informiert über diese Events wird über die Website und per E-Mail.
3. E-Mails
Kommen wir damit zu dem Punkt, der Fundraiser interessiert:
Wie arbeitet Dag Anders Pieper mit E-Mails?
Punkt eins: Es ist sein Hauptkommunikationsweg
Punkt zwei: Er hält damit nicht hinter dem Berg
Punkt drei: Er fragt konkret nach E-Mail Adressen
Beim ersten Mal an dem meine Frau und ich uns das Lokal anschauen, nimmt sich Dag Anders Pieper für uns Zeit. Er ist nicht mundfaul. Er sagt einige kurze Sätze zu seiner Geschichte, was er vorhat, was aus dem Lokal werden soll (perfekte lockere Projektpräsentation …). Und fragt, nachdem wir Interesse gezeigt haben, ob er unsere E-Mail Adresse haben darf. So locker und nebenbei, dass wir gar nicht Nein sagen wollen oder können.
Den Grund, warum er die E-Mail Adresse sammelt, ist von ihm klar formuliert: „Ich informiere per E-Mail regelmäßig, was für Veranstaltungen laufen und was an Besonderheiten passiert.“ Dass dies auch wirklich passiert, dazu später mehr. Wir sehen von unserem Tisch, wie er unsere E-Mail Adresse sofort in seinen Laptop eingibt. Der steht immer offen an der Bar und steuert nicht nur die E-Mails sondern auch die Musik.
Wir merken uns: Wer nicht nach E-Mail Adressen fragt, bekommt keine.
4. Website
Zu der E-Mail-Flanke kommt eine kleine aktive Website. Über diese muss wenig geschrieben werden. Sie können sie sich unter www.anders-weinwirtschaft.de ansehen. Nur diese Bemerkungen dazu: Es fällt auf, dass diese Seite nicht die typische „ich habe auch einmal meinen Innenraum fotografiert“-Seite anderer Gastronomen ist.
Es wundert die Kenner dabei nicht, dass diese Seite im Kern eine Blog-Seite ist und auf Word Press aufsetzt. Ziel der Seite ist es, die Kunden von „Anders“ zu informieren und auf dem Laufenden zu halten. Es ist eine „Immer wieder einen neuen Impuls bekommen“ Seite. Keine „Erstkontakt“-Seite.
50 Prozent mehr Gäste mit einer einzigen E-Mail
Nun zu der kleinen Geschichte, die der Kern unseres Fallbeispieles ist und zeigen soll, warum diese Form des Marketings anders als herkömmliche Markting Systeme funktioniert. Die Geschichte begab sich am Ostermontag, den 13. April 2009.
Laut offiziell angeschlagenen Zeiten würde Anders an diesem Feiertag eigentlich um 17:00 Uhr öffnen. Bei einem mittelmäßigen Lokal würde die Geschichte auch so weitergehen. Das Lokal hätte planmäßig, deutsch und korrekt um 17:00 Uhr geöffnet. Nicht so bei Dag Anders Pieper.
Karfreitag ruft eine Frau bei ihm an und fragt, ob er Ostermontag mittags geöffnet hat. Sie würde gerne mit vier Personen zum Essen kommen. Nun passiert etwas, was viele nie verstehen werden (Dag Anders Pieper hat wie viele Gastronome wenig Freizeit und abends eine lange Schicht):
Dag Anders Pieper fragt zurück, was die vier essen wollen (beste Gesprächsführung: Erforschung der Situation, kein institutioneller Block). Sie wollen richtig etwas essen und natürlich dazu Wein trinken – nicht nur ein Glas pro Person. Kurzer Überschlag im Kopf. Das deckt ungefähr den Stundenlohn des Kochs. Antwort von Dag Anders Pieper: „Kein Problem, für Sie mache ich Ostermontag gerne früher auf.“ Sie verabreden sich für 14:00 Uhr.
Wenn Du etwas tust, tue es von ganzem Herzen
So weit so gut. Dag Anders Pieper investiert seinen freien Nachmittag für eine Vier-Personen-Gruppe und aktiviert seinen Koch. Er hat ungefähr die Situation der Kostendeckung, aber mit vier Gästen noch keinen wirklichen Gewinn. Ärgert er sich und macht gute Miene zum bösen Spiel? Das wäre die mental servicefeindliche deutsche Grundeinstellung – das leidende Opfer.
Nein, das tut er nicht.
Denn dieser Mann lebt Marketing und er liebt seinen Beruf. Kaum hat er die Entscheidung getroffen, am Ostermontag früher zu öffnen, setzt sich Dag Anders Pieper an sein Laptop und formuliert eine kurze E-Mail. Diese Mail straft übrigens alle Marketingverantwortlichen, die glauben Information müsse kompliziert sein. Originaltext:
„Liebe Gäste,
Ostermontag haben wir schon ab 13:30 Uhr geöffnet.
Dag Anders Pieper“
Sie bemerken: Er öffnet 30 Minuten früher als seine Gäste eintreffen. Er muss sowieso früher da sein, um für die vier Gäste alles vorzubereiten.
Was für eine Auswirkung hat seine E-Mail?
Diese E-Mail wird am Ostermontag Vormittag von zwei einsamen Fundraisern gelesen, die an einem Feiertag vor Rechnern sitzen: Meiner Frau und mir. Wir sitzen etwas müde an einem Projekt, da ein Kunde noch etwas für eine Fundraising-Kampagne braucht (hier ein Gruß an alle Fundraiser, die sich ebenfalls Feiertage um die Ohren schlagen).
Diese Mail ist die willkommene Entscheidung, nicht selbst zu kochen, sondern die Rechner aus zu machen und ein wenig Dolce Vita in Buchholz zu genießen (aktuelles Angebot trifft auf aktuellen Bedarf). Wir treffen um 13:30 Uhr in Anders Weinwirtschaft ein. Damit hat Dag Anders Pieper die Zahl seiner Gäste um 50 % gesteigert und kommt über die Kostendeckungsschwelle in die Gewinnzone.
Das Ende der Geschichte
Als wir eintreffen, steckt Dag Anders Pieper gerade Frühlingszweige in eine Vase. Er hat den brasilianschen Reggae besonders laut gedreht. Wir werden wie gewohnt herzlich gegrüßt und gefragt, ob er die Musik leiser stellen soll (was er nicht soll). Er habe heute besonders gute Laune.
Natürlich werden wir gefragt, wie wir von seiner Öffnung erfahren haben (Evaluation des Marketings), es wird erzählt warum er früher geöffnet hat (Involvement in die aktuellen Ereignisse), bestens bedient und erleben, wie um 14:00 Uhr die anderen vier Gäste eintreffen.
Wundert es Sie, dass Dag Anders Pieper auf die Frage der anderen Gäste, ob man auch draußen in der Sonne essen könne, mit „Ja“ antwortet? Er trägt selbst zusammen mit seinen Gästen die Tische nach draußen.
Wundert es Sie, dass Dag Anders Pieper Erfolg haben wird?