oder wie würde ein echter Blogger das machen?
von Bettina Hohn und Ole Seidenberg
Alle reden darüber, wie man einen Blog für das Fundraising oder die eigene Öffentlichkeitsarbeit nutzen könnte. Wie wäre es, wenn wir einfach einmal einen Blogger fragen, wie er das so machen würde? Das haben wir getan. Hier der Hintergrundbericht von Ole Seidenberg zu seiner Aktion Uwe.
Die Aktion Uwe
Die „Aktion Uwe“ zeigt die neue Dynamik des Fundraising im Internet – aber auch die Herausforderungen des „neuen“ Mediums. Wir sind uns sicher, das der eine oder andere Sozialarbeiter seine Anfragen an das Vorgehen von Ole Seidenberg haben wird. Darum geht es hier nicht. Lassen wir einmal die Fragen und Gedanken eines Bloggers zu.
Ole, der SocialBlogger über seinen Blog: „Wenn wir es schaffen, neben Musikvideos, Ballerspielen, Online-Shopping und ähnlichem mehr dieses schnelle und weit verzweigte Medium und seine Dynamik effektiv auch für soziale Projekte, Mitbestimmung und Dialog zu nutzen, können wir, so bin ich überzeugt, einen großen Schritt weiter kommen auf dem Weg nach vorn. Wo auch immer vorn für uns Menschen sein mag, aber das ist eine andere Frage, die auf einem Blog allein nicht genug Platz finden würde.“
Lassen wir ihn zur Aktion Uwe weiter selbst zu Wort kommen.
Die Aktion Uwe
Von Ole Seidenberg
Die Idee entstand spontan, auf der Straße, für die Straße.
Auf dem Heimweg vom Sonntags-Kaffee begegnet mir der Obdachlose Uwe in der Hamburger Innenstadt. Uwe hat Geburtstag und fragt mich nach Geld. Für seinen Ehrentag wünscht sich Uwe einen Schlafplatz und mag mich deshalb auch gern um etwas mehr bitten. Ich möchte Uwe gern helfen.
Der Gegenvorschlag
Doch da meine Hilfe allein weder ausreicht, noch nachhaltig sein kann, mache ich Uwe einen Gegenvorschlag: Eine gemeinsame Spendenaktion im „Web 2.0″. Uwe ist zunächst leicht überfordert, dann aber einverstanden. Schließlich könne er nur gewinnen, so Uwe, auch, wenn er selbst noch nie das Internet benutzt hat.
Und kurz später ist es im Blog
Kurze Zeit später stelle ich seine Geschichte, seinen Plan und einen entsprechenden Hilfe-Aufruf auf meinen Blog www.socialblogger.de. Darauf aufbauend bitte ich mein persönliches Netzwerk in sozialen Netzwerken wie Facebook, StudiVZ und Xing, sowie ganz klassisch via eMail um Spenden, Ideen und mentale Unterstützung für Uwe.
Uwes Idee
Uwe hat dabei eine konkrete Idee, wie er den Weg von der Straße meistern möchte. Das bedeutet für den Aufruf und die potentiellen Spender eine greifbare Botschaft: Uwe möchte ein Nachtcafé für Obdachlose aufbauen und damit nicht nur sich selbst, sondern auch vielen anderen langfristig helfen. (Uwe weiß: Eine solche Aufwärmmöglichkeit ohne Alkoholausschank fehlt bislang in Hamburg – und er könnte diese Idee als ausgebildeter Koch womöglich gar selbst umsetzen. Was fehlt, ist die Infrastruktur, das Personal und vor allem: Zunächst eine eigene Wohnung, sowie ein Job für das nötige Startkapital.)
24 Stunden später – 60 Euro
Rund 24 Stunden später haben wir die ersten 60 Euro Spenden gesammelt und Uwe schläft seit diesem Tag nicht mehr auf der Straße. Von jedem Fort-, aber auch Rückschritt berichtet er dabei ehrlich und authentisch per Videobotschaft, während ich seine Nachrichten, Rückschläge und Bedenken entsprechend authentisch per Blog-Botschaft weiterzugeben versuche.
Face Book kommt dazu
Dafür erntet Uwe zunächst viel Bewunderung und aufbauende Worte – ebenfalls per Kommentar auf dem Blog und auch auf meinen Profilseiten auf Facebook & Co. Aber auch Kritik bleibt nicht aus: „Uwe kann sich doch Sozialhilfe beantragen“ heißt es da an einer Stelle. Andere senden konkrete Verbesserungsvorschläge, unter ihnen ein erfahrener Sozialarbeiter. Alle drei Formen der Rückmeldung sind für uns gleichermaßen wertvoll und Chance, mehr über unsere Förderer und deren Bedürfnisse zu erfahren.
Nach zwei Monaten 1.500 Euro
Nach rund zwei Monaten Laufzeit zählt die Aktion Uwe knapp 100 Spender und 1.500 Euro an Spendengeldern bei einem noch noch weit größeres Maß an freiwilligen Helfern und Sachspenden. Waren es zu Beginn überwiegend Spender aus meinem unmittelbaren Umfeld, so sind inzwischen die ersten Gelder aus Polen und Weißrussland eingegangen. Die Nachricht hat sich so weit verbreitet, wie es ohne das Internet kaum denkbar wäre.
Uwe auf Helpedia.de
Inzwischen sammelt Uwe über die Spendenplattform Helpedia.de Spenden ein – und so können inzwischen auch Spendenquittungen ausgestellt werden. Außerdem sehen die Spender in Echtzeit, wer noch gespendet hat und jede Spende kann mit Namen und Kommentar versehen werden.
Uwe fühlt sich wahrgenommen
Uwe fühlt sich durch das viele Feedback der Spender zum ersten Mal seit rund 20 Jahren wieder als Mensch wahrgenommen. Dies ist nicht nur für das Fundraising eine schöne Nachricht, vielmehr wird auch der eigentliche Spendenzweck durch die direktere Verbindung von Spender und Empfänger viel schneller erreicht, denn erst durch den vielen Zuspruch war Uwe laut eigener Aussagen motiviert, sein Leben wieder in den Griff kriegen zu wollen.
Durschnittliche Spendenhöhe bei 15 Euro
Und auch die durchschnittliche Spendenhöhe liegt mit 15 Euro weit höher als alles, was im Regelfall einem Obdachlosen auf der Straße in den Becher geworfen würde. (Insgesamt sind die Spenden im Netz laut Fundraising-Verband inzwischen fast doppelt so hoch wie „offline“).
Woran liegt das?
Kann man aus diesem Einzelbeispiel den Schluss ziehen, dass das Web 2.0 (bzw. das so genannte „Social Web“) das Fundraising einfacher und effektiver machen? Wenn ja, welche Elemente sind hier ausschlaggebend?
Zunächst lässt sich zweifelsfrei feststellen, dass sich die Spender durch die persönliche Art der Kommunikation auf einem privaten Internet-Weblog eher als Mensch angesprochen fühlen als von einem anonymen oder augenscheinlich maschinell individualisierten Massenmailing.
Warum funktioniert ein Blog anders
Im Blog ist klar, dass dort ein Mensch von einem anderen Menschen und dessen Nöten berichtet und, dass Kritik und Kommentare nicht nur hingenommen, sondern vielmehr ausdrücklich erwünscht werden. Dies bedeutet für den Sender der Botschaft zwar einen Kontrollverlust gegenüber dem klassischen Mailing, dafür aber ein weit größeres Involvement des Spenders.
Sind Organisationen bereit zum Kontrollverlust?
Darüber hinaus kann dieser nicht nur selbst spenden, sondern die Nachricht auch leicht selbst in seinem eigenen Netzwerk und in seinen eigenen Worten weiterverbreiten. Während man bei einem klassischen Mailing nur zwischen Spende und Altpapier wählen kann, wird es durch die Mittel des Web 2.0 möglich, sich selbst des ursprünglichen Anliegens anzunehmen. Organisationen können so ihre Spender zu Fundraisern und Botschaftern machen. Vorausgesetzt, sie sind bereit, ein Stück weit den damit einhergehenden Kontrollverlust in Kauf zu nehmen oder diesen gar aktiv zu gestalten.
Eine E-Mail und ein Telefonat verändert eine Hostess
Dass dadurch ein weit größeres Identifikationspotential für den Spender und damit auch größere Hilfsbereitschaft resultiert, wurde mir erst wenige Stunden vor Abgabe dieses Artikels wieder bewusst, als ich eine eMail von einer Studentin erhielt, die derzeit als Messe-Hostess arbeitet. Nach einem kurzen Austausch per Telefon bringt sie nun jeden Abend die verbliebenen Speisen zum Pik-Ass, jener Herberge für Obdachlose, in der Uwe derzeit untergekommen ist.
Bloggen will gelernt sein
Doch auch das Web 2.0 ist kein Allheilmittel und richtig „Bloggen“ will gelernt sein. Das Kopieren normaler PR-Meldungen in einen Blog oder von Headlines auf twitter funktioniert nicht lange gut und auch das viele Feedback der Spender muss erst einmal „gemanaged“ werden.
Die Spender erwarten hier tatsächliche Transparenz und Authentizität – und das bedeutet jede Menge Arbeit, vor allem aber auch jede Menge Chancen, wieder stärker in Kontakt mit seinen Anspruchsgruppen zu kommen.