Eine Online Spendenkampagne, die zeigt, wie es geht
Seit einiger Zeit beobachten wir bei Spendwerk sogenannte 100 Prozent Online Organisationen. Gemeint sind damit Non Profit Organisationen, die von Anfang an mit einer nahezu 100 prozentigen Online-Kommunikation starten und dementsprechend später auch im Fundraising 100 Prozent online aufgestellt sind. Ein Beispiel für eine solche 100 Prozent Online Nonprofit-Organisation stellten wir im Fundraising innovativ im Mai letzten Jahres mit folkalley.com vor. Heute ist Wikipedia dran.
Der Spendenaufruf von Wikipedia Herbst 2009
Wikipedia veröffentlichte Ende 2009 und über den Jahreswechsel hinweg den folgenden Spendenaufruf, der vorbildlich zeigt, wie eine Organisation mit Selbstbewusstsein ihre Geschichte erzählt und begründet, warum sie es wert ist, Spenden zu bekommen. Der Spendenaufruf war mit einem Banner über den Artikeln auf wikipedia.org verlinkt. Der Spendenaufruf selbst war auf der Seite der Wikimedia Foundation geschaltet und Teil einer Herbst Online Fundraising Campaign. Im Folgenden ist der Spendenaufruf und seine einzelnen Elemente kommentiert (Quelle: Montag 04.01.2009 www.wikimediafoundation.org).
- Der in der Herbstkampagne geschaltete Banner:
Kommentierung des Spendenaufrufes von Jimmy Wales
Fett = Text des Spendenaufrufes
Normal = Kommentar von Ehrenfried Conta Gromberg
Eine Bitte des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales
Menschen geben Menschen. Hier spricht Jimmy Wales. Niemand anderes. Der Gründer von Wikipedia. Es wird nicht vorausgesetzt, dass Sie als Benutzer von Wikipedia dieses Wissen haben. Es wird darauf hingewiesen, dass Jimmy Wales der Wikipedia-Gründer ist. Das ist seine Legitimation, zu Ihnen so zu sprechen, wie er spricht.
Heute bitte ich Sie um eine Spende für Wikipedia.
Jimmy Wales kommt direkt zur Sache. Er bittet persönlich. Dafür ist er sich nicht zu schade. Er spricht den Nutzer der Seite in der Einzahl direkt an, da der normale Besucher von Wikipedia namentlich nicht bekannt ist.
Im Jahr 2001 habe ich die Wikipedia gegründet. Es erfüllt mich mit Stolz und Demut zugleich, dass sich in den acht Jahren seither Hunderttausende von Freiwilligen mir angeschlossen haben, um die größte Enzyklopädie in der Geschichte der Menschheit zu schaffen.
Klare Ansage und Selbstbewusstsein: Ich habe Wikipedia gegründet. Dann die Mischung aus Stolz und Demut, um gleich das Terrain zu klären: Wikipedia ist nicht irgendwer. Wikipedia ist inzwischen die größte Enzyklopädie in der Weltgeschichte. Das nennt man eine uneinholbare Nr. 1 Positionierung einer führenden sozialen Marke. Fundraisingerfolge beruhen nicht auf Mitleid. Die Organisation bekommt Spenden, die die beste Lösung für ein Problem hat und stark genug ist, sie umzusetzen. Dieser Start ist daher ein gelungener Auftakt. Einziger Punkte, der zu verbessern wäre: „.. dass sich (…) mir angeschlossen haben …“ zielt zu sehr auf die Gründerperson. Hier sollte besser stehen „Es erfüllt mich mit Stolz und Demut, dass sich in den acht Jahren (…) Hunderttausende (…) Wikipedia angeschlossen haben“. Das würde die Waage Stolz und Demut noch etwas feiner austarieren.
Wikipedia ist keine kommerzielle Webseite. Es ist ein Gemeinschaftswerk, vollständig verfasst und finanziert von Menschen wie Ihnen. Über 340 Millionen Menschen nutzen Wikipedia jeden Monat – fast ein Drittel der durch das Internet vernetzten Welt. Sie sind Teil unserer Gemeinschaft.
Weitere Klärung. Viele wissen nicht, dass Wikipedia eine NPO ist. Von daher die eindeutige Aussage: Wir sind keine kommerzielle Webseite. Das ist Abgrenzung. Kommerzielle Websites, das sind die Goldgräber im Netz. Jimmy Wales spricht es nicht aus, viele User fühlen und denken aber so. Wikipedia ist dagegen eine Gemeinschaft aus „Menschen wie Ihnen“. Wikipedia ist kein Fremdkörper. Der Nutzer kann sich mit den Menschen hinter Wikipedia identifizieren: Wir sind so wie sie. Dann gleich wieder eine Zahl, die einem den Atem raubt: 340 Millionen Nutzer – 1/3-tel der Online Welt – nutzt Wikipedia. Dagegen lässt sich nicht anargumentieren.
Ich glaube an uns. Ich glaube, dass Wikipedia besser und besser wird. Das ist die Idee dahinter. Eine Person schreibt etwas, jemand anders verbessert es ein bisschen, und mit der Zeit wird es immer besser. Wenn Sie Wikipedia heute nützlich finden, stellen Sie sich vor was wir gemeinsam in 5, 10 oder 20 Jahren erreichen können.
Hier kommen gleich zwei zentrale Dinge. Einmal das Glaubensbekenntnis. „Ich glaube an uns. Ich glaube daran, dass Wikipedia besser und besser wird.“ Danach in einem kurzen Satz die Erfolgsgeschichte von Wikipedia. „Eine Person schreibt etwas, jemand anderes verbessert es ein bisschen … „ Das ist großartiges Storytelling. Gut auf den Punkt gebracht. In einem erzählerischen Satz wird die Success Story von Wikipedia beschrieben und macht den Wirkmechanismus der Hilfe sofort plausibel. So einfach und so simpel ist Wikipedia. Aber es ist noch mehr. Und deswegen hebt Jimmy Wales das Gesagte noch einmal auf eine höhere Ebene:
Wikipedia symbolisiert die Fähigkeit der Menschheit, außergewöhnliche Dinge zu erschaffen. Menschen wie wir schreiben Wikipedia, ein Wort nach dem anderen. Menschen wie wir finanzieren das Projekt. Die Wikipedia ist der Beweis für unser gemeinschaftliches Potential, die Welt zu verändern.
Es geht darum, die Welt (positiv) zu verändern. Das Ganze ist keine Spielerei. Es geht darum, dass normale Menschen (wie der Leser des Spendenaufrufes) außergewöhnliches schaffen (können), um die Welt zu verändern. Es geht nicht um die fernen Helden, sondern um die nahen.
Wir müssen dieses gemeinschaftliche Potential bewahren, um die Wikipedia zu bewahren. Das Projekt soll auch weiterhin gebühren- und werbefrei bleiben. Und Wikipedia soll offen bleiben: offen für die Nutzung der Informationen, wie Sie sie nutzen möchten; offen für zukünftiges Wachstum; offen für die Verbreitung des Wissens auf der ganzen Welt; und offen für neue Mitarbeiter.
Start des Spenden-Appells. Es gilt das Geschaffene zu schützen und zu bewahren. Wikipedia soll kostenlos und offen bleiben und die Kraft behalten weiterzuwachsen. Die Erfolgsgeschichte soll weitergehen. Der Appell ist in ersten Person plural, in einem gemeinschaftlichen „Wir“.
Im nächsten Absatz zeigt sich Jimmy Wales als Meister im Fundraisingfach. Denn jeder Angesprochene fragt sich im Augenblick des Appells, ob die Arbeit einer Organisation im richtigen Verhältnis zum Ziel steht. Ist die Freiheit des Wissens denn wirklich so viel wert? Wie viel Geld ist nötig, um das beschriebene Ziel zu erreichen? Jimmy Wales bleibt die Antwort auf diese Frage nicht schuldig:
Die Wikimedia Foundation ist die gemeinnützige Organisation, die ich 2003 gegründet habe, um Wikipedia zu pflegen, wachsen zu lassen und zu beschützen. Für sieben Millionen Euro pro Jahr und mit weniger als 35 Angestellten betreibt sie eine der populärsten Websites der Welt. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung, damit wir unsere Arbeit fortsetzen können.
Souveräner Abschluss des Spenden-Aufrufs. Einführung des Spenden-Empfängers. Benennung der Größe der Organisation: Die größte Enzyklopädie in der Geschichte der Menschheit, eine der populärsten Websites der Welt mit 370 Millionen Besuchern pro Monat, die den freien Zugang zum Wissen der Welt garantiert kostet – nur – sieben Millionen Euro im Jahr. Weniger als 35 Angestellte arbeiten für dieses Werk. Dies ist das Nadelöhr. Wenn jetzt im Bauch das Gefühl entsteht: „Das ist zu viel Aufwand für die genannte Aufgabe“, wird niemand Geld geben. Wenn der Bauch sagt: „Bewundernswert, mit so wenig, schaffen sie so viel!“, wird die Zustimmung Wikipedia gewiss sein. Wikipedia gewinnt auf Bauchebene, wie das Ergebnis unten eindrücklich bestätigt.
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jeder Mensch freien Zugang zum gesamten Wissen der Menschheit hat. Das ist unser Ziel. Und mit Ihrer Hilfe werden wir dieses Ziel erreichen.
Verstärker, der mit der Vision arbeitet. „Stellen Sie sich eine Welt vor …“ Eine Welt, in der jeder Mensch frei wäre. „I have a dream“. Wer will das nicht? Eine Welt in der jeder freien Zugang zum Wissen hat. Jeder Besucher von Wikipedia ist deshalb auf der gleichen Seite.
Indem Sie die Wikipedia jetzt nutzen, sind auch Sie ein Teil dieser Erfolgsgeschichte geworden. Bitte spenden Sie heute für Wikipedia.
Die kleine sympathische Eingemeindung geht weiter (Rückbezug auf den Leser vor dem Bildschirm). „Indem Sie Wikipedia jetzt nutzen …“ … sind sie nichts schuldig – NEIN – indem sie Wikipedia nutzen, sind sie ein Teil dieser Erfolgsgeschichte. Bestnote. Das geht nicht besser. Das ist gutes Involvement = Menschen in die Mitte holen.
Jimmy Wales
Gründer der Wikipedia
Für alle, die es bis dahin noch nicht verstanden haben. Das war nicht irgendwer, der da gesprochen hat. Das war Jimmy Wales, der Gründer von Wikipedia. Wikipedia personalisiert durch diese Starke Konzentration auf Jimmy Wales die Seite und holt sie aus der Anonyimität.
Was lernen wir daraus?
Im Vergleich zu vielen deutschen bürokratischen Spendenaufrufen ist dieser (international geschaltete) Spendenaufruf wohltuend anders. Wenn jetzt wieder Zweifler aufstehen sollten, die sagen „mehr Bescheidenheit, wir bitten doch (demütig) um eine Spende – in Deutschland geht so etwas nicht“, denen sei noch kurz das Ergebnis mitgeteilt. Wikipedia erreichte in der Online- Spendenkampagne das selbstgesteckte Ziel von 7.5 Millionen US Dollar. Es zeigt sich im Sozialmarketing wie auch im normalen Business: Erfolg zieht Erfolg nach sich.
Hier die Erfolgsmeldung im Originaltext
As of December 31, 2009, we have reached our campaign goal of 7.5 million USD. Thank you to all who have donated! Your continued donations will support Wikimedia’s long-term operations and growth, cover contingencies, and allow us to fund new projects and activities.
Lesen Sie hier, wie der Erfolg dieser Kampagne im Herbst 2010 noch einmal getoppt wurde.