Über sprechende Logos, heimtückische Killer und verliebte Affen
Eine Reise ins Digital Storytelling
von Ehrenfried Conta Gromberg
Wer sich mit Storytelling befasst, stolpert in der letzten Zeit immer wieder über „Digital Storytelling“. Da Storytelling eine der zentralen Kompetenzen einer Non Profit Organisation ist, hier ein Ausflug in das digitale Geschichten-Erzählen.
Logo, Logo an der Wand, was ist über den heutigen Tag bekannt?
Fangen wir bei einer einfachen, aber sehr starken Story-Beispiel an. Google hat eine der leersten Webseiten der Welt. Auf den ersten Blick. Wenn Sie bei Google ein Suchwort eingeben, steht über dem Suchslot das Google Logo. Aber bei weitem nicht immer. Denn dieses Logo ist wie Quecksilber und verändert sich ständig. Immer wieder wird dieses Logo zu einem Google Doodle, einem Rätselbild mit einem Hinweis auf ein Tagesereignis.
Tipp – Besuchen Sie die Doodle Galerie
Streifen Sie einmal durch die Doodles-Galerie. Dies ist ein kleines Museum des digitalen Storytellings. Mein Liebling ist der Kurzfilm über Maurice Sendak, selbst ein großer Storyteller, das Google Doodle vom 10. Juni 2013. Der Doodle Clip eine echte Hommage. Die Story-Logik von Google auf der Startseite ist einfach: Schaffe ein Bild mit einem Bezug und verstecke in diesem Bild den Google-Schriftzug.
Finden das komische Logo andere gut?
Am 4. November war als Google Doodle die Nummernanzeige eines Taschenrechners zu sehen. Daneben das Gesicht einer Frau, das in Deutschland so gut wie niemand kannte. Gefeiert wurde der 84. Geburtstag von Shakuntala Devi, einer außergewöhnlichen indischen Mathematikerin.
In Indien kam dies gut an.
The Times of India brachte es als eigene Nachricht: „Shakuntala Devi’s 84th birthday celebrated with a doodle.“, die Hindu Times brachte es und selbst noch in Deutschland berichtete Die Welt darüber, dass Google Shakuntala Devi mit einem Doodle gewürdigt hat.
Nicht schlecht: Ein Logo in den Schlagzeilen.
Drei Dinge lernen wir vom Google Doodle
• Geschichten erzählen, können Sie im Netz überall (sogar mit einem Logo)
• Digitale Geschichten werden von anderen aufgegriffen (wenn Sie es gut machen)
• Digitale Geschichten brauchen häufig Kontinuität
Wie beginnen Sie als NPO mit digitalem Storytelling?
Im ersten Schritt unterscheidet sich digitales Storytelling nicht vom klassischem Storytelling: Fragen Sie sich zuerst, warum Sie Ihre Geschichte erzählen. Das hört sich banal an, ist es aber nicht. Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend, gleich ob Sie diese Geschichte online (digital) über andere Medien oder klassisch erzählen.
• Wollen Sie einfach nur kurz unterhalten?
• Bauen Sie strategisch Ihre Marke auf?
• Involvieren Sie die Spender in ein laufendes Projekt?
Als guter Storyteller fragen Sie sich immer: Warum erzählen Sie die Geschichte? Dann erst suchen Sie sich einzelnen Werkzeuge und Bestandteile Ihrer Geschichte zusammen.
Wem erzählen Sie eigentlich Ihre Geschichte?
Hat man das Ziel seiner Geschichte gesteckt, stellt sich die Frage nach dem Publikum.
Wer hört einem wann zu? In der klassischen Situation steht der Erzähler vor einer Gruppe von Menschen. Online ist dies anders: Die Zuhörer schalten sich zu verschiedenen Zeiten ein und nehmen die Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln war. Der Zuhörer ist in der Regel alleine und er reagiert alleine.
• Haben Sie überhaupt eine Online-Zuhörerschaft?
• Gibt es einen E-Mail Newsletter, den ausreichend viele Menschen lesen?
• Gibt es Kanäle, auf denen Sie Inhalte posten können?
• Wenn sie posten, wer reagiert auf Sie und kann den Faden aufnehmen?
• Was interessiert Ihre Leser überhaupt?
Je weniger Masse Sie im Netz haben, um so gezielter sollten Sie planen und sich am Anfang nicht zu viel vornehmen.
Ist Digitales Storytelling nichtlineares Erzählen?
Wer sich mit digitalem Storytelling beschäftigt, hört immer wieder die These, dass im Netz Geschichten Non-Linear erzählt werden: Während der klassische Erzähler vor seinem Publikum steht und „banal“ von A nach B erzählt, sei eine gute digitale Geschichte eher wie eine Schnitzeljagd. Verschiedene Erzählstränge werden an verschiedenen Orten im Netz versteckt.
Der Non Lineare Hype
Große Projekte von Verlagen spielen seit einiger Zeit mit Non-Linearen Erzählformen. Ein aktuelles Beispiel ist das Rowohlt Projekt „Death Book“, das Anfang Dezember startet. Zum einen ist es der Buchstart des gleichnamigen Thrillers von Andeas Winkelmann. Zum anderen ist es die Inszenierung des Grauens.
Zum Inhalt des Thrillers
Das erste Opfer war Mitglied in einem Forum, dem „Deathbook“. In diesem Forum vergnügen sich Tausende an den Filmen von Menschen, die in Bedrängnis gebracht werden. Bis hin zum Mord. Und bei der gemütlichen Aufklärung eines Mordes, wie es im alten Detektive-Roman der Fall ist, bleibt es nicht …
Genau getaktete Chronologie
Rowohlt hat lange mit einem mehrköpfigen Team am „Death-Book“ Projekt gearbeitet. Das parallel erscheinende E-Book wird in 10 Folgen gestaffelt, ist mit Filmen und Ton angereichert (enhanced sagt man so schön) und taktet bereits seit dem 24.09. auf den Buchstart im Dezember zu. Parallel werden die Personen des Romans „real“ auf Twitter, Facebook und anderen Kanälen handeln.
Zitat von der Startseite: „Hochspannung garantiert, Anrufe vom Killer nicht ausgeschlossen … “
Der Plot des Buches spielt in einem Forum, also kann die Story in ein echtes Forum hineingespiegelt werden. Es wird Spannung aufgebaut mit dem Ziel, Grenzen zwischen Fiction und Realität zu überschreiten. Ein Zug, der mir speziell bei diesem Thriller-Inhalt nicht gefällt.
Lohnt sich der Aufwand?
Abgesehen von dieser inhaltlichen Kritik, rate ich Anfängern davon ab, ihre digitale Geschichte sofort non-linear aufzubauen. In einer solchen Liga zu spielen ist eine Frage des Etats, der zur Verfügung steht. Wenn Sie Ihre Geschichte über viele Kanäle verteilen, werden Sie viel in die Produktion dieser Geschichte investieren. Selbst wenn Sie einen großen Mediendruck aufbauen können (die Kampagne wird beim Death Book z.B. über stern.de, Zeit Online, Faz.net, facebook und Google geschaltet), bleibt die Gefahr, dass nur wenige User Ihrer Geschichte folgen.
Non-Linear-Fazit
Überraschen und herausfordern ist gut. Zu viel überraschen und verstecken vertreibt Zuhörer, Zuleser und Zuschauer.
Stories starten Sie simple
Für mich sind die guten NPO-Geschichten im Netz nach wie vor die einfachen und direkten Geschichten: Menschen erzählen und teilen ihr Leben oder das ihres Projektes mit digitalen Tools.
Das beginnt mit Podasts, Projekt-Blogs und Facebook-Timelines, die häufig ein Ereignis einfach chronologisch weitererzählen (= lineare, chronologische Erzählweisen). Und es geht weiter mit starken Story-Patterns (gleichbleibende Erzählweisen, die immer wiedererkannt werden wie das Google Doodle). Hier geht es zunächst darum, WIE Sie Ihre Geschichte digital erzählen. Und das macht einen Unterschied:
• Hängen Sie Ihre digital Story an guten Geschichten auf
• Holen Sie symbolische Ereignisse ins Rampenlicht und storyfizieren Sie diese
• Setzen Sie die Mittel ein, die Sie mit einem guten Augenmaß bedienen können
• Setzen Sie Technik gekonnt und in einem „Geschmacks-Kanal“ ein
• Bedienen Sie also eine Fan-Gruppe mit gleichbleibender Erzählart
Shakesspeare auf affisch?
Romeo & Julia. Martin & Lulu. Großes Liebesdrama zwischen zwei Affen mit Happy End? Ist machbar, kommt gut an und zeigt, dass gutes digitales Storytelling auch für eine kleinere NPO mit Liebe zum Detail machbar ist. Wieder einmal habe ich diesen guten Showcase bei Sofii gefunden und sage Dank an die englischen Kollegen.
Ausgangssituation ist ein Todesfall
2010 hatte der Owl & Monkey Haven das Problem, das der Bruder des kleinen Kapuzineraffens Martin starb. Martin blieb alleine in seinem Käfig zurück. Das war eine schlechte Nachricht. Aber es gab eine seltene, einzelne Kapuziner-Affendame in Frankreich: Lulu. Ebenfalls einsam.
Das ist der Stoff, aus dem Geschichten gemacht werden
Der Owl & Monkey Haven erzählte 2011 die Einsamkeitsgeschichte der zwei Kappuzineraffen und was getan werden musste, um sie zusammenzubringen. Mit klaren Möglichkeiten, mit einer Spende in die Zusammenführungs-Geschichte einzusteigen. Die Kampagne lief rein online unter dem Slogan „The Martin and Lulu Appeal“ und zeigt, wie bereits in der Headline das Fundraising angelegt war. Der eingesetzte Etat war gering.
Die Geschichte hatte ein Happy End. Die Mitarbeier von Owl & Haven hängten am Valentinstag Herzen in die Kletterbäume des frisch verliebten Paares. Lulu und Martin bekamen am 11.05.2013 ihr erstes Baby Malou.
By the way – der eigentliche Clou für die Fundraiser
Dass den beiden Affen ein aufwendiges Liebesnest gebaut werden musste und dadurch so ganz nebenbei die Finanzierung des Neubaus einer Ausstellungsfläche gelang, ist der eigentliche Fundraiser-Clou. Die Spender wollten das Glück der Beiden und zahlten großzügig alle Reisespesen von Lulu samt neuem Gehege. Simple is best.
Longseller
Diese Geschichte wird natürlich auch heute noch 2013, zwei Jahre nach dem eigentlichen Höhepunkt weiterzählt. Spannung erzeugen z.B. Wärmekamera Fotos auf Facebook (Posting 4. Nov „Thermal Imaging“). Sie zeigen: Die Körpertemperatur von Martin steigt, wenn er bemerkt, dass Menschen das Baby von Lulu und ihm betrachten. Aussage der Redakteure: „How protective he is over his family!“ Der Kommentar einer Userin: „Nobody could doubt it!“. Thermobeweis gelungen.
Digital Storytelling Fazit
Der Owl & Monkey Haven hat es verstanden. Die digitale Geschichte von Martin & Lulu war klasse, der gesamte Facebook-Kanal ist eine Augenfreude, sie halten gekonnt die Mischung zwischen herzig und informativ ohne in das Kitschige abzugleiten und sie nutzen die digitalen Mittel gemäß ihren Möglichkeiten mit Bravour. Digital Storytelling goes NPO.
Quellen: Foto Kapuzineraffe von Fotolia. Es zeigt nicht Martin. Originalfotos auf Sofii.