welche Rolle spielt Marketing in einer Zeit des verspielten Vertrauens?

von Ehrenfried Conta Gromberg

Sind die Finanzen wirklich in der Krise?
Geht es um Finanzen?
Unser Thema ist ein anderes.

 

Viele sind direkter betroffen, als wir denken

Vor kurzem saß ich bei der Beratung eines Vorstandes eines gemeinnützigen Vereines. Wir besprachen die Planung des Fundraisings für das Jahr 2009. Ein Vorstandsmitglied sagte in einem Nebensatz: „Wir sollten bei den Zielen etwas vorsichtiger sein. Viele, die ich privat kenne haben durch die Finanzkrise 30 bis 40% ihrer privaten Rücklagen verloren.“ Die Krise ist da und sie ist in den Köpfen.

Was für eine Krise ist dies aber?

„Finanzkrise“ ist ein Wort, das ein Bild erzeugt. Die Finanzen sind krank. Wir müssen sie gesund machen. Gebt ihnen Milliarden, Pflaster und Wadenwickel. Damit die Wirtschaft wieder läuft.
Dieses Bild ist zu hinterfragen. Bei der Reaktion von Fundraisern auf die Krise geht es nicht an erster Stelle um „die Finanzen“. Es geht um Betrug und Vertrauensverlust. Die Finanzkrise ist eine Vertrauenskrise. Wenn nur Geld verloren gegangen wäre, wäre der Schaden durch Geld zu reparieren. Verspieltes Vertrauen ist nicht so leicht zu ersetzen.

Jauche in Geschenkpapier

Der Berliner Blogger und Werber, Sascha Lobo schrieb sehr treffend*:
„…Noch mal in Zeitlupe, was eigentlich auf dem Finanzmarkt passiert ist: Jauche wurde so oft in so viele verschiedene Lagen Geschenkpapier eingewickelt, bis sie nicht mehr so stank. Und man sich einreden konnte, es sei ein Top-Schnäppchen. (…) Der wichtigste Schritt in Richtung Abgrund war, Hypotheken und Kredite mit an Vollidiotie grenzendem Risiko wohlklingende Namen wie „High-Grade Structured Strategies Enhanced Leverage Fund“ (…) zu geben und anschließend die gesamte Vermarktung konsequent auf die (…) Verschleierung der Risiken auszurichten.“

Verspieltes Vertrauen

Der Zusammenbruch des Finanzmarktes beruht auf dem Fehlverhalten von vielen Menschen in verantwortlichen Positionen in Kombination mit einem „Finanzsystem“, das hinterher aus dem Ruder lief. Das Ausmaß des Schadens verschreckt nicht nur den „kleinen Mann“.
Vertrauensbrüche sind nicht neu. Aber zur Zeit verdichten sie sich. Und schaffen ein neues Klima der Selbstverteidigung. Lohnt es sich noch, irgendjemandem zu glauben?

Einige Vertrauens-Tiefpunkte der letzten Jahre

Gazprom-Schröder. Ein Bundeskanzler hat nichts besseres zu tun, als am Ende seiner Laufzeit seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Ohne Ansehen auf sein Amt und unser Land. Das Vertrauen in ein Amt wird stark beschädigt.
Das gedopte Telekom Team (und andere mehr). In einer Dreistheit und Sturheit wird in laufende Kameras gelogen, dass selbst Profis die Spucke wegbleibt. Das Renomé der „Tour de France“, einer der bekanntesten Sportveranstaltungen der Welt, wird komplett vor die Wand gefahren.
George W. Bushs machtlüsternes egozentrisches Imperium, dass den Ruf der USA verspielte. Eines Landes, dass eigentlich eine Vorreiterstellung bei den Themen „Gleichheit, Freiheit und Demokratie“ spielen wollte. Ein Schaden, der uns alle noch lange beschäftigen wird und auch nicht einfach wegobamat werden kann.
Und nun die „Finanzkrise“. Der Kollaps des weltweiten Finanzsystems, weil zu viele viel zu dreist gezockt haben. Depression wird übrigens von Wirtschaftsfachleuten als „langanhaltender Vertrauensverlust“ definiert, der dafür sorgt, dass eine Wirtschaft über Jahre hinweg schrumpft. Niemand investiert mehr in andere.

Vier Konsequenzen für Verantwortliche im Sozialmarketing

1. Wir müssen das Misstrauen verstehen

Die Menschen um uns herum werden zu recht immer misstrauischer gegenüber Politik- und Marketingsystemen. Je größer und aufwendiger Dinge sind, um so eher vermuten sie dahinter einen großen Bluff. Dies sollten wir vor Augen haben, wenn wir über „Fundraisingsysteme“ nachdenken oder anders im Sozialmarketing bewegen.

2. Die Menschen wollen durch das Geschenkpapier hindurchsehen

Es geht im Kern um Produktehrlichkeit. Was bieten wir an? Hält das, was wir versprechen? Was wickeln wir in Geschenkpapier? Wie ehrlich sind wir? Ist das soziale Projekt wirklich so wirksam, wie wir tun? Ist das Geld für das neue kulturelle Highlight wirklich so entscheidend? „100 Prozent Ihrer Spende kommen an“ ist zum Beispiel eine der dümmsten Aussagen, die ich kenne. So erzeugen Fundraiser falsche Bilder. Fixieren Erwartungshaltungen, die später wie Seifenblasen platzen.

3. Rückbesinnung auf die Qualität einzelner Menschen

Simplifizierungen greifen nicht. Die Bösen sind nicht die Menschen, die mit Geld umgehen. Die Bösen sind auch nicht Marketingtreibende. Aber es gibt Fehlverhalten, Rücksichtslosigkeit und Gier. Und dies zerstört Existenzen. Also werden die Menschen stärker auf die Menschen achten, die ihnen gegenüber sitzen. Sind diese glaubwürdig? Was ist ihre Empfehlung wert? Also wird Fundraising wieder stärker auf das Verhältnis „Mensch zu Mensch“ zurückgeführt. Die Menschen, die das Produkt weitergeben, müssen glaubwürdig sein.

4. Wir müssen unsere Angebote real erklären

Die Konsequenz kann nur sein, gegenüber anderen Menschen so transparent zu sein, dass sie Vertrauen fassen können, weil sie verstehen, was passiert. Der Satz „Emotion verkauft“ stimmt so nicht. Zur Produktehrlichkeit gehören Fakten und häufig auch Komplexität. Wir kommen nicht darum herum, Menschen ernst zu nehmen und ihnen Vor- und Nachteile eines Vorgehens zu erklären. Es muss oben auf dem Produkt stehen, was drin ist.